Nur die Harten komm’ in’ Garten!

Ich bin im Laufe meines Lebens recht viel gereist und habe auch größere Treckingtouren in der Wildnis (Für 7 Tage Essen, Zelt Kocher usw. mitschleppen) hinter mir. Alles alleine oder mit Partnerin.

Vergletscherte Grade und hohe alpine Gipfel habe ich aber immer nur von unten bewundern können. Gereizt haben die mich schon lange, aber meine Abscheu vor geführten Touren stand mir da wohl immer im Weg, denn alleine ohne fundierte Ausbildung da ’rauf, das war mir klar, geht nicht!

Der Freund meiner Tochter kommt ursprünglich aus Paderborn und hat vor ein paar Jahren mal den Grundkurs Alpin in Eurer Sektion bei Tina mitgemacht und davon in den höchsten Tönen geschwärmt. Dann hat er mich darauf hingewiesen, dass dieses Jahr auch wieder ein Kurs angeboten wird.

Um’s kurz zu machen: Karina und ich haben uns von Lübeck aus auf den Weg gemacht und uns für den Grundkurs Alpin 2018 in Eurer Sektion angemeldet. Leiter des Kurses war Dirk Neuheisel. Nach einem Vorbereitungsnachmittag, in dem die Spaltenbergung in Eurem Vereinshaus praktisch und theoretisch vermittelt worden ist, ging es dann am 1.7.2018 in den Bergen los. Das Gebiet war der Stubaier Gletscher.

Am Anreisetag gab es einen 2-stündigen Aufstieg zur Sulzenau Hütte (2191 Meter). Dort haben wir ein wenig Kartenkunde und Tourenplanung gemacht. Interessant! Ich dachte eigentlich, dass ich mit dem Kartenlesen überhaupt kein Problem hätte und mir alles klar sei. War aber nicht so! Dirk hat uns auf viele Details der Karte hingewiesen, die ich immer übersehen habe und die auch in der Legende so nicht aufgeführt sind. Das die Alpenvereinskarten beispielsweise eine Schummerung aufweisen, die eine Beleuchtung des Geländes aus NW nachbildet war eine der Neuigkeiten für mich.

Am nächsten Tag gab es eine ca. 6-stündige Wanderung über den großen Trögler (2902 Meter). Eine durchaus lohnenswerte Wanderung! Vom großen Trögler aus hat man einen phantastischen Blick auf die Gletscher der Stubaier Alpen. Unter anderen sieht man den Sulzenau Ferner sozusagen aus der ersten Reihe. Hier ging es um Trittschulung am Fels und erste Trittschulungen im Schnee. Es zeigte sich, dass wir (Silke, Karina, Malina, Wolfgang, Helge und ich) alle recht gut zu Fuß unterwegs waren.

Am nächsten Tag sollte es dann rauf auf die Müller Hütte (3148 Meter) gehen. Die erste spannende Alpine Erfahrung war ein größeres Schneefeld mit ca. 40-45 Grad Neigung. Ich bin wirklich kein ängstlicher Typ, aber alleine hätte ich mich hier nur ungern hineingetraut. Die Vorstellung auf dem schrägen Schneefeld ins Rutschen zu kommen und ca. 200 Meter Fahrt aufzunehmen, hätten mich deutlich verunsichert. Dirk ging vorneweg. Interessant zu sehen, wie er jeden einzelnen Tritt ausgearbeitet und gespurt hat. So geht das also! Die einmal ausgearbeiteten Tritte ließen sich dann problemlos nachsteigen.

Auch wenn der Weg über den Signalgipfel (3392 Meter) geht, fand ich 1200 Höhenmeter nicht sonderlich bedrohlich. 1500 Höhenmeter rauf und wieder runter sollte ich eigentlich ohne große Probleme hinkriegen. Aber hier war es irgendwie anders! Es war warm, ich lief im T-Shirt, schwitzte wie wahnsinnig und war am Keuchen ohne Ende. Immerhin die Beine fühlten sich noch OK an und zeigten keine Anzeichen von Übersäuerung. Das war mir klar, die Beine dürfen nicht übersäuern, dann wird man mit jedem Tag fitter. Aber die Atmung! Ich war am Keuchen und deutlich am Limit. Dass ich bei so einer geführten Tour nicht mithalten kann, das passte so gar nicht in mein Selbstbild. Ich war immer einer von den Fittesten!  Und jetzt das hier! Ich keuche so, dass mir die Lunge aus dem Hals kommt und schneller könnte ich wirklich nicht! Bin ich so alt geworden? Kann es sein das sechs andere bei einer geführten Tour fitter sind als ich? Alles ziemlich irritierend! Aber für viele Gedanken bleibt eigentlich keine Zeit. Ich bin voll damit beschäftigt zu atmen. Voll im Rhythmus tief aus und ein. Mehr geht nicht. Aber zu sagen, dass es langsamer gehen muss, das bringe ich nicht! Das würde ich nur im äußersten Notfall bringen. Also, wenn die Beine anfangen sich übersäuert anzufühlen, dann würde ich mich outen! Aber Keuchen ist nicht schlimm! Das halte ich durch! Als dann schließlich eines der Mädels endlich etwas langsamer gehen möchte, bin ich deutlich erleichtert und dankbar.

Dann kommt die nächst alpine Erfahrung! Es ist Gewitter für den Nachmittag angekündigt und tatsächlich wird es richtig dunkel um uns herum und die ersten Donner sind zu hören. Das ist eine Erfahrung, da kann man was lernen! Wir suchen uns also einen guten sicheren Platz unterhalb des Grads, deponieren unsere Rucksäcke mit Steigeisen, Eispickel und Karabiner in sicherer Entfernung und warten ab. Jetzt muss man abwarten bis es vorbei ist! So geht das also im hochalpinen Gelände!

Das Gewitter zieht an uns vorbei und Dirk entscheidet, dass wir versuchen, zur Hütte zu gehen. Also alles wieder ausziehen und neu starten. Weil ich vorher geschwitzt habe wie ein Wahnsinniger hab’ ich jetzt auch wieder nur ein Merino-T-Shirt unter der Gore-Jacke. Aber das Gewitter hat ’nen ziemlichen Temperatursturz mit sich gebracht. Es gibt Regen Schnee und Wind und ich bin in kurzer Zeit völlig ausgekühlt. Die Hände schmerzen! Das ist meine große Schwachstelle! Schon als Kind haben meine Hände im Winter immer tierisch weh getan. Und bei den Schmerzen in den Fingern geht mir regelmäßig der Kreislauf weg. So hier jetzt auch! Während wir uns für die Gletscherüberquerung anseilen und ich mich wärmer anziehe, schaffe ich es kaum noch auf den Beinen zu bleiben! Entweder hinlegen oder laufen, dann bringt die Muskelpumpe den Blutdruck wieder hoch. Kurz vor dem Hinlegen ist die Seilschaft fertig und wir brechen auf, mein Kreislauf stabilisiert sich wieder und nur der Schmerz in den Fingern bleibt, während wir durch die Wolken über den Gletscher laufen.

Als wir endlich in der Hütte ankommen, begrüßt uns Lukas, der Hüttenwirt, mit ’nem selbstaufgesetzten Schnaps und verspricht uns, die Trockenkammer gut einzuheizen, so dass unsere Klamotten morgen alle wieder trocken sind. Nach der Härte da draußen sorgen die Wärme der Hütte, das gute Essen, der sympathische Hüttenwirt und ein guter Wein für ein richtig zufriedenes Glücksgefühl. Die Wolken reißen auf und man sieht zum ersten Mal von der Müllerhütte die gesamte Gletscherlandschaft. Die Müllerhütte liegt im Übeltalferner, dem größten Gletscher der Stubaier Alpen. Man hat von hier oben einen phantastischen Blick über den Gletscher und die unter uns liegenden Berge und Täler. Die Luft ist klar, man kann unglaublich weit sehen und ganz am Horizont sind deutlich erhöhte Bergmassive von der untergehenden Abendsonne rot beschienen. Das ist der Hammer!!

Bei den abendlichen Gesprächen am Tisch zeigt sich, dass die anderen ähnlich intensive Erfahrungen wie ich über den Tag hatten. Man ist sehr offen miteinander und kommt sich langsam menschlich näher. Die Leiden des Tages sind alle vergessen und ein tief zufriedenes Glücksgefühl bleibt.

Am nächsten Tag standen verschiedenen Lerneinheiten auf dem Gletscher auf dem Programm. Wir haben praktisch gelernt, wie man mit Steigeisen geht, sich mit Eisschrauben im Eis sichert und wie man sich bei Stürzen in Schneefeldern verhält. Rückwärts mit dem Kopf nach unten rutschend muss man sich erst auf den Bauch drehen, dann durch eine seitwärts ausgestreckte Hand den Körper so in eine Rotation versetzen, dass der Kopf nach oben kommt, um dann den Po hochzuheben und mit Füssen und Händen zu bremsen. Klappt gut und macht Spaß! Die schon früher vermittelte Spaltenbergung wird heute und am nächsten Tag noch einmal geübt, so dass diese jetzt relativ sicher sitzt.

Neben den offiziellen Lerneinheiten gibt es unglaublich viele Details, die von Dirk einfach so nebenbei vermittelt werden. Wie schafft er es, so unglaublich sicher durch den Schnee zu gehen? Bei mir kommt es immer wieder zu einem leichten Durchrutschen des Fußes, wenn ich Druck für die Vorwärtsbewegung aufbauen will. Das kostet Kraft. Bei ihm gibt es das gar nicht und jeder Schritt ist sicher und kraftvoll. Oder kann man es schaffen, ein 60-Meter Seil, Karabiner, Helm, Gurt, ein umfangreiches Erste-Hilfe Set, Kleidung für eine Woche und noch einiges mehr in einem 35 Liter Rucksack unterzubringen? Bei welchen Witterungsbedingungen zieht man auf dem Gletscher Steigeisen an, bei welchen nicht? Wann zieht man einen Helm auf, wann nicht? Einfach so nebenbei wird unglaublich viel an Know-how vermittelt. Super!

Am letzten Tag auf dem Gletscher steht ein Aufstieg zu Sonnklarspitze auf dem Programm. Hier lernen wir auch wieder viel. Zum Beispiel uns als Seilschaft im Fels zu sichern und zu bewegen. Ich betreibe seit einigen Jahren die Sportkletterei, aber hier gab es auch wieder viel Neues zu lernen. Der Blick von oben ist wieder ähnlich phantastisch wie am ersten Abend. Einfach super toll von diesen vergletscherten Bergen in die unter uns liegende Landschaft zu schauen.

Beim Abstieg am vorletzten Tag geht es wieder denselben Weg zurück wie beim Aufstieg. Das Schneefeld, dass mir beim Aufstieg Respekt eingeflößt hat, zeigt deutlich den Lernerfolg der letzten Tage. Dirk ermahnt uns, dass ihn keiner überholen darf und läuft dann in der gelernten Hackentechnik den Abhang gerade hinunter um dann phasenweise mit den Schuhen snowsurfend den Anhang hinunter zu fahren. Wir anderen geben unser Bestes dranzubleiben. Hinfallen und ins Rutschen zu kommen ist für keinen von uns mehr ein Problem. Das kriegen wir locker gebremst!

Das Leid und die Freude des ersten Tages haben sich durch die ganze Zeit hindurchgezogen. Die Nächte waren oft richtig schlecht und das Wetter oft durchwachsen. Morgens um halb sechs aufzustehen ist eigentlich auch nicht so meine Sache. Oft gab es den Gedanken, warum ich mir das eigentlich antue. Aber diese zwischenzeitlichen Tiefs haben sich ähnlich wie am ersten Tag immer in tiefe Erfüllung aufgelöst. Ich habe es ähnlich wie beim Trecken erlebt. Da frage ich mich auch oft, warum laufe ich hier stundenlang mit 20-25 Kilo auf dem Rücken durch eine verregnete Landschaft und schaue immer nur auf den Weg vor mir. Aber insgesamt ist das Erlebnis immer tief befriedigend. Hier im hochalpinen Gebiet scheinen mir die Kontraste noch intensiver zu sein! Die Kälte und Anstrengung sind noch härter, aber die Erfüllung noch tiefer! Ich bin nach dieser Woche voll angefixt und fühle mich in der Lage, selbstständig leichte Hochtouren zu planen und zu bewältigen.

An dieser Stelle noch mal einen lieben Gruß an Dich, Dirk! Besser als Du das gemacht hast, kann es wohl nicht laufen! Ich bin richtig glücklich, die Tour mit Dir gemacht zu haben. Und die anderen fünf sind mir auch richtig ans Herz gewachsen in dieser super erfüllenden und intensiven Zeit. Auch noch mal einen lieben Gruß an Euch. Ich vermisse Euch!

(Frank Boveleth)

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